Von Software und Hochzeitsmusik

Von Software und Hochzeitsmusik

Das Feature ist fertig entwickelt. Dachten wir. Dann kam der Kunde: Das sollten wir noch ändern, jenes habe ich mir anders vorgestellt, geht das auch in grün und bis morgen?

Und am Ende bleiben die Fragen: War die Spezifikation schlecht? Hätten wir vorab mehr fragen müssen? Ist es ein Bug oder ein kostenpflichtiger Change Request? Oder ist es einfach das Naturell von Software-Entwicklung?

Schauplatzwechsel:

Ich singe in meiner Freizeit gerne in Chören (Tenöre sind noch gefragter als Software-Entwickler) – und Musik ist wohl mindestens so subjektiv wie Software.

Wenn sich ein Brautpaar ein bestimmtes Lied wünscht: Ist dann schon alles gesagt?

Aus Sicht des Brautpaars: ja. Aus Sicht des Chorleiters: Welches Tempo? Welche Tonart? A capella, mit Band oder großem Orchester? Welche Phrasierungen? Wo wird geatmet? Aussprache?
Man kann jedes Lied so interpretieren, dass es das Brautpaar nicht wiedererkennen wird. Und ob es schön ist kann man erst entscheiden, wenn man es gehört hat. Zu spät.

Damit zum Hochzeitstag alles perfekt ist, spielt Zeit eine wesentliche Rolle. Chorproben, in denen auch noch etwas schief gehen darf (Entwicklungs-Umgebung), Generalproben an Ort und Stelle zur Feinjustierung (Test-Umgebung) und die Aufführung (Produktiv-Umgebung) – in der Musik weiß man, dass nichts davon ausgelassen werden darf.

Fragen Sie mal einen (guten) Chorleiter am Tag vor der Hochzeit, ob „dieses neue Lied“ auch noch gehen würde. Nein, das ist zu spät, ohne ausreichende Probenzeit kann die Qualität nicht gewährleistet werden. Und wenn man noch 3 gute Sänger kurzfristig engagiert? Nein, nein, nein.

Software hat einen hohen Subjektivitätsanteil. Kunden und Entwickler müssen daher in ihren Ansichten grundsätzlich zusammenpassen – eine Heavy-Metal-Band wird „Ave Maria“ wohl nie im Sinne von Schubert interpretieren.

Kunden müssen die Chance haben, schon bei den ersten Proben zuzuhören und die Richtung zu beeinflussen. Aber die schwierigste Übung: Wir sollten nicht durch grobe Änderungen nach der Generalprobe unseren wohlverdienten Applaus verspielen.